Rede von Außenministerin Baerbock im Deutschen Bundestag zur Beratung über den Bericht der Bundesregierung zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik 2021.
Nickey Diamond aus Myanmar, der als Aktivist vor den Militärs floh und heute in Konstanz promoviert, und die kongolesische Professorin Francine Ntoumi, die für ihre Verdienste als Infektionsbiologin, gefördert von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung, letztes Jahr das Bundesverdienstkreuz erhalten hat - diese zwei Menschen sind nur zwei von Hunderten, die uns zeigen: Mit unserer Kultur- und Bildungsarbeit machen wir einen Unterschied, und zwar weltweit.
Wir schützen die Freiheit von Frauen, Männern und auch Kindern, bringen Bildung und Forschung voran, und manchmal schützen wir damit auch deren Leib und Leben.
Der Bericht zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, über den wir heute sprechen, schaut zurück auf das Jahr 2021. Gefühlt ist das, ehrlich gesagt, eine Ewigkeit her. Damals haben wir “Shrinking Spaces” beleuchtet und mussten beobachten, wie die Redefreiheit etwa in Belarus und in vielen anderen Staaten geschrumpft ist. Heute müssen wir aber an vielen Orten längst von “Disappearing Spaces” sprechen. Menschenrechte, etwa die Pressefreiheit in Russland, werden nicht nur geschrumpft; sie werden hinweggefegt - auch in Iran oder in Afghanistan.
Diese brachiale Gewalt verändert auch die Aufgaben unserer Kultur- und Bildungspolitik. Wir werden uns hier strategischer aufstellen müssen; denn unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern auch sie steht vor den globalen Herausforderungen eines Systemwettbewerbs zwischen Autokratien und Demokratien.
Wir wissen: Deutschlands Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft sind die Grundlagen für den Erfolg unserer Außenpolitik. Genau diese Glaubwürdigkeit wird in manchen Regionen von anderen, aber manchmal auch bei uns im eigenen Haus in Zweifel gezogen und, ja, gelegentlich niedergemacht durch plumpe Desinformation. Dem müssen wir uns aktiver als bisher entgegenstellen, indem wir unbeirrt am Austausch mit Gesellschaften, am Miteinander von Menschen und Kulturen dieser Welt festhalten und zusammenarbeiten, versuchen, uns immer wieder in andere Sichtweisen zu versetzen, aber auch indem wir uns selber verständlicher machen.
Das gilt für uns als Bundesregierung, und das gilt auch für unsere hervorragenden Mittlerorganisationen: Auslandsschulen und DAAD, das Goethe-Institut, die Alexander-von-Humboldt-Stiftung und viele mehr. Ihr Engagement ist gefordert wie nie zuvor, weil Kulturpolitik auch ganz klar Sicherheitspolitik ist. Wenn wir die Freiheit von Kultur, Wissenschaft und Medien fördern, dann stärken wir damit auch die Freiheit und die Sicherheit von Menschen.
Deswegen haben wir mit Blick auf die heutige Lage Schutzprogramme wie das Hilde-Domin-Programm ausgebaut, dessen erster Stipendiat Nickey Diamond aus Myanmar war. Wir haben diese Programme zudem finanziell weiter aufgestockt - an dieser Stelle sage ich herzlichen Dank an Sie als Parlamentarierinnen und Parlamentarier - und haben zum Beispiel die Hannah-Arendt-Initiative für Journalistinnen und Journalisten neu ins Leben gerufen.
Wir setzen auf Science Diplomacy, um wie im Fall von Professorin Ntoumi gemeinsam mit anderen den Kampf gegen Malaria, Tuberkulose und Ebola zu führen. Wir setzen natürlich auch weiter darauf, dass 13 Millionen Schülerinnen und Schüler weltweit Deutsch lernen, weil wir in dieser Welt Partner brauchen, die uns manchmal auch in unserer eigenen Sprache verstehen, weil wir aber auch Fachkräfte und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer dringender brauchen.
Weil wir aber wissen, dass die Zehnjährigen, Fünfzehnjährigen der Welt vielleicht nicht zuerst an Deutsch als erste Fremdsprache denken, müssen wir auch unsere Auswärtige Bildungspolitik auf die Höhe der Zeit bringen, indem wir Abschlüsse konkurrenzfähig ausbauen, die Angebote verbessern - gerade auch im Zusammenspiel mit der Wirtschaft.
Wenn wir unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik so gezielt gestalten, dann ist sie eben auch im 21. Jahrhundert kein “nice to have”, dann ist sie ein “essential to have” - dringend notwendig, weil es um die Menschen geht, ob in der Ukraine, in Myanmar oder im Kongo, weil es um uns geht, um ihre und unsere gemeinsame Freiheit und Sicherheit in einer vernetzten Welt.